Newsbeitrag vom 03.03.2021

Direktbank-Pionier ING zieht sich aus Österreich zurück

Die von der Kundenzahl zweitgrößte Direktbank in Österreich sieht für sich überraschenderweise kein Wachstumspotenzial mehr und zieht die Reißleine. Derzeit würden strategische Optionen geprüft, um diesen Markt bis Jahresende zu verlassen, teilte ING am 2.3.21 mit. "Wir sind in Österreich in mehr als 18 Jahren moderat, aber stetig gewachsen und haben in einem etablierten Bankenmarkt Fuß fassen können. Allerdings stoßen wir als relativ kleiner Akteur in einem gesättigten Markt an Wachstumsgrenzen", wird Barbaros Uygun, Vorstandsvorsitzender der ING in Österreich, in der Mitteilung zitiert. Nur die Aktivitäten der Firmenkundensparte sollen am Standort Wien fortgesetzt werden, wo 14 Mitarbeiter hauptsächlich Großunternehmen betreuen. Im Privatkundengeschäft waren zuletzt 340 Mitarbeiter beschäftigt.

In einem ersten Schritt wird ING ab Anfang April die Kunden anschreiben, die ausschließlich Sparkonten bei der ING Österreich führen. ING wird ihnen kündigen. Nach Erhalt des Schreibens verbleibt eine Kündigungsfrist von zwei Monaten. Nach Ablauf wird ING einen Abschlusskontoauszug erstellen und das Guthaben inklusive der aufgelaufenen Zinsen auf das hinterlegte Referenzkonto auszahlen.

Alle anderen Kunden sind vorerst nicht betroffen - also Kunden mit oder ohne Sparkonto, die ein Girokonto, ein Depot, einen Raten- oder Immobilienkredit bei ING Österreich haben. Diesen Kundengruppen wird entweder zu einem späteren Zeitpunkt ebenso gekündigt (bei laufenden Krediten kann es nur eine Option für die Bank sein, sofern vertraglich möglich) oder sie werden übergeben. ING sucht einen Käufer für das verbleibende Privatkundengeschäft. Es gebe keine Änderungen hinsichtlich Gebühren oder Serviceleistungen. Und es sei nicht erforderlich, das Girokonto vorzeitig zu wechseln oder aufgrund der geplanten Geschäftsaufgabe Fonds zu verkaufen, versucht ING zu beruhigen. Man werde die Kunden rechtzeitig mit einem persönlichen Schreiben informieren, wenn es Neuigkeiten gibt. Insbesondere die Girokunden werden aber kaum darauf warten wollen, bis sie sich innerhalb von zwei Monaten ein neues Konto besorgen und eilig alle Lastschriften umstellen müssen.

ING ist historisch über Tagesgeld gewachsen. Der mittlerweile verstorbene Niki Lauda war Testimonial für das Produkt und alljährlich gab es eine Vignettenaktion, bei der Neukunden eine Jahresvignette geschenkt bekamen. Auch heute noch macht das Einlagengeschäft deshalb mit Abstand den größten Teil des Bestands aus. Mit dem Kündigen der reinen Sparer wird ING sich schon in Kürze vom größten Teil des über die Jahre aufgebauten Kundenstamms getrennt haben. Das Tagesgeld ist seit Oktober 2019 nur noch mit 0,01% verzinst, aber ein Einlagenüberschuss kostet die Bank im aktuellen Zinstief Geld. Und die Erträge aus den anderen Bereichen sind eher gering, da ING das Produktangebot in Österreich erst spät ausbaute. Zum Sortiment gehören Ratenkredite, ein ausschließlich für Investmentfonds nutzbares Depot, ein Girokonto und zuletzt kamen auch Immobilienkredite hinzu. In den vergangenen Monaten wurde es ruhig um ING; keine Aktionen mehr, Apple Pay wurde erst gar nicht mehr eingeführt und der so bezeichnete Servicepoint in zentraler Innenstadtlage Wiens blieb nach dem ersten Lockdown einfach geschlossen.

ING Österreich war Teil des in mehreren Ländern umgesetzten Direktbankkonzepts des niederländischen Finanzkonzerns ING Group. Die ING Group erwarb im Jahr 2003 die Entrium Direct Bankers AG - die bis dahin zweitgrößte Direktbank in Deutschland. Die österreichische Niederlassung von Entrium war zu diesem Zeitpunkt Österreichs kundenstärkste Direktbank. Die ING Group besaß in Deutschland schon die DiBa. Entrium wurde auf ihr verschmolzen. Ab Mai 2004 hatte die in Österreich aktive Einheit in der Folge die Bezeichnung "ING-DiBa Direktbank Austria" und wurde als Niederlassung von der Frankfurter ING-DiBa AG mitgelenkt. Die Geschäftszahlen und die Kundenzahl wurden für Deutschland und Österreich bislang zusammen ausgewiesen, sodass die rund 550.000 österreichischen Kunden dort künftig fehlen werden. In den vergangenen Monaten schwenkte ING allgemein darauf um, die bestehenden Kundenverbindungen profitabler zu machen, statt wie bislang über immer mehr Kunden wachsen zu wollen.