Grundlegender Umbau beim Scalable Broker: Depotumzug, hauseigener Handelsplatz, Einlagenkonstrukt
Scalable Capital, Betreiber eines führenden Neobrokers, überraschte am 10.12.24 mit einer Mitteilung: Das Unternehmen übernimmt die Depotführung und Wertpapierabwicklung beim Scalable Broker, startet gemeinsam mit der Börse Hannover einen Handelsplatz und strukturiert die Verwahrung der Kundengelder neu.
Seit der Bekanntgabe werden Bestandskunden nach dem Einloggen in ihr Depot aufgefordert, neuen Vertragsbedingungen zuzustimmen. Die Änderungen gehen über den Status gewöhnlicher AGB-Updates hinaus, die Zustimmung bedeutet gleichzeitig die Auftragserteilung für die Eröffnung eines neuen Wertpapierdepots direkt bei Scalable Capital, einen künftigen Depotumzug und neue Kooperationsstrukturen. Im Neukundengeschäft ist das neue Setup seit dem 10.12.24 bereits im Einsatz.
Mitteilung nach dem Einloggen mit den Optionen zu bestätigen oder später zu entscheiden, der bloße Klick auf Bestätigen verschiebt Vermögen
Bis dato verwahrte die Baader Bank alle Depots und Kundeneinlagen der Scalable-Kunden und stellte als Market-Maker die Kurse über gettex. Für die börsennotierte Baader Bank, für die Scalable mit mehr als einer Million Kunden der wichtigste Kooperationspartner ist, sind die Änderungen ein herber Schlag. Innerhalb von eineinhalb Stunden reagierte sie mit zwei Ad-hoc-Mitteilungen. Zunächst informierte sie knapp über eine "veränderte Wettbewerbssituation", gefolgt von einer ausführlicheren Mitteilung mit dem Titel "Baader Bank setzt auf diversifiziertes Wachstum im Kooperationspartnergeschäft", in der sie betonte, durch eine breite Partnerbasis als White-Label-Bank auf Wachstumskurs zu bleiben und dass sich die jetzigen Änderungen nicht sofort auswirken würden.
Bestandskunden behalten zunächst ihr Depot bei der Baader Bank, und bei Zustimmung zum vielseitigen Vertragswerk erhalten sie "in wenigen Wochen" zusätzlich ein Depot bei Scalable. Eine erneute Identifizierung oder ein zweites Login werden nicht nötig, die bestehende Anwendung biete Zugriff auf beide Depots. Die Wertpapiere sollen erst im vierten Quartal 2025 von dem einen Depot in das andere gebündelt übertragen werden. Die lange Vorlaufzeit soll laut Scalable koordinierte Prozesse ermöglichen und damit für einen reibungslosen Übertrag sorgen.
Ein weiterer zentraler Teil des Umbaus ist der parallel erfolgte Launch des Handelsplatzes European Investor Exchange (EIX), den Scalable gemeinsam mit der Börse Hannover betreibt. Der Umfang an handelbaren Wertpapieren und die Handelszeiten decken sich mit denen bei gettex. Die Börse Hannover ist für den regulatorischen Rahmen zuständig. Scalable ist für die technische Seite des gemeinsamen Handelsplatzes zuständig und agiert hier als einer von zwei Market-Makern, neben der mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG. In dieser Rolle kann Scalable künftig die Spanne zwischen An- und Verkaufskursen (den sogenannten Spread) selbst vereinnahmen. Die Neobroker bauten ihr Geschäftsmodell ursprünglich darauf auf, für das Weiterleiten von Kundenaufträgen an bestimmte Handelsplätze eine Rückvergütung aus dem Spread zu erhalten. Dieser sogenannte Payment for Order Flow ist ab Ende Juni 2026 EU-weit verboten, was noch zu weiteren Umbrüchen in der Branche führen wird. Mit dem neuen Aufbau von Scalable wird das Verbot umgangen, um die Einnahmen zu sichern und die Handelsgebühren für die Kunden niedrig halten zu können. Er ist jedoch sehr aufwendig, weshalb kleinere Neobroker eher nach anderen Wegen suchen werden.
Der Zugang zur EIX, den man mit dem Scalable-Depot bekommt, bedeutet keine Einschränkung der bisherigen Handelsmöglichkeiten. Kunden können auch weiterhin über gettex und Xetra handeln. An den Orderpreisen änderte sich nichts, die EIX ist im neuen Preis- und Leistungsverzeichnis für das Scalable-Depot gleichgestellt mit gettex. Auch die drei Abomodelle Free, Prime und Prime+ sind dort weiterhin aufgeführt, wobei Prime seit August nicht mehr neu abgeschlossen werden kann. Eine vollständige Trennung von der Baader Bank ist es nicht, da Scalable den Handel über gettex weiterhin anbietet, wo die Baader Bank als Market-Maker aktiv ist. Dies erklärt im Nachhinein die vor einigen Wochen von der Baader Bank kommunizierte Mitteilung, einen mehrjährigen Kooperationsvertrag mit Scalable Capital geschlossen zu haben. Es bleibt zu beobachten, ob die Kurse auf EIX ähnlich fair wie auf gettex sein werden und ob auch andere Broker den Handelsplatz anbinden.
Beim bisherigen Depot bei der Baader Bank wurden die an Scalable gezahlten Orderpreise nicht automatisch steuermindernd berücksichtigt, da sie als "Entgelt für Abschlussvermittlung" ausgewiesen waren und von einem anderen Unternehmen als der orderausführenden Bank erhoben wurden. Kunden deklarierten diese Orderentgelte (nicht zu verwechseln mit dem Abopreis) gegebenenfalls selbst in ihrer Steuererklärung oder verzichteten wegen ihrer geringen Höhe darauf. Dass Scalable Capital künftig selbst das orderausführende Institut ist und nicht mehr als Abschlussvermittler auftritt, spricht dafür, dass die Orderpreise - wie es normalerweise üblich ist - direkt als Kauf- bzw. Verkaufskosten berücksichtigt werden. Im neuen Preis- und Leistungsverzeichnis sind sie als "Entgelte für das Finanzkommissionsgeschäft" bezeichnet. Eine offizielle Information von Scalable Capital zur künftigen steuerlichen Behandlung dieser Orderpreise steht noch aus, die FAQ-Seite enthält noch die Informationen zum Baader-Bank-Depot.
Beim Verwahren der Kundeneinlagen zum Scalable-Depot ist es ein von Trade Republic bekanntes Konstrukt: Ein Teil der Gelder wird auf offenen Treuhandkonten bei Partnern wie der Deutschen Bank verwahrt, ein anderer Teil fließt in Geldmarktfonds; die den Kunden zugesprochene Verzinsung ist an den EZB-Leitzins gekoppelt. Auf dem Depot-Verrechnungskonto erhalten Kunden so derzeit 3,00% p. a. auf Guthabenteile bis EUR 50.000 im Free Broker und bis EUR 500.000 in Prime+. In dem Zusammenhang bestätigte Scalable Capital erstmals, eine Banklizenz bei der BaFin beantragt zu haben. Gegenwärtig agiert das Unternehmen als Wertpapierinstitut. Mit einer künftigen Banklizenz will es mittelfristig die Einlagen selbst annehmen - ein Schritt, den der Konkurrent Trade Republic bereits vollzogen hat. Beim bisherigen Baader-Bank-Depot bietet nur Prime+ eine Verzinsung auf dem Verrechnungskonto, weiterhin 2,60% für Guthabenteile bis EUR 50.000.
Kunden können sich bei Scalable eine wertpapierbesicherte Kreditlinie einrichten lassen. Die Kreditzinsen sind im neuen Depot günstiger: Im Free Broker gilt derzeit ein Sollzins von 5,49% p. a., in Prime+ 4,49% p. a. Scalable veröffentlicht die jeweils geltenden Zinssätze auf der Website. Die genaue Berechnungsformel für diese Zinssätze wurde bislang nicht bekanntgegeben - beim bisherigen Depot bei der Baader Bank errechnet sich der Kreditzins aus 3-Monats-Euribor plus 3,00% p. a., woraus sich derzeit ein Sollzins von 6,01% p. a. ergibt. Die maximale Kredithöhe liegt unverändert bei EUR 100.000, der Einrichtungsprozess entspricht dem bisherigen.
Ausschnitt der neuen AGB zum bestehenden Baader-Bank-Depot, gegenüber der vorherigen Fassung wurde sie um den grün markierten Text erweitert
Die AGB zum bestehenden Baader-Bank-Depot wurden in der Fassung ab 10.12.24 unter 7.3. erweitert: Sie sieht ausdrücklich vor, dass Scalable Capital künftig auch die Depotbank für die Kunden wechseln kann, was auch Scalable Capital einschließe - ohne vorher eine Zustimmung einzuholen, sofern die Kunden dadurch "zumindest gleichgestellt" bleiben. Diese Änderung schafft vermeintlich die Grundlage, um auch jene Kunden, die dem neuen Vertragswerk aktuell nicht zustimmen, später eventuell dennoch auf das neue Scalable-Depot umzuziehen. Die Zulässigkeit einer solchen weitreichenden Änderung der Geschäftsbeziehung per AGB-Anpassung dürfte dann jedoch auf rechtlich unsicherem Fundament stehen - insbesondere da es sich um einen Wechsel von einer Vollbank zu einem Wertpapierinstitut handelt.
Insgesamt lässt sich also festhalten, dass sich rein preislich kaum etwas ändert und sich für die Kunden in mancher Hinsicht Verbesserungen ergeben. Dennoch: Der Umstellungsprozess und die fortlaufenden Arbeiten zur Wertpapierabwicklung sind komplex und erfordern Expertise. Ähnliche Umstellungen, wie bei Smartbroker von der DAB bank zur Baader Bank oder wie bei Trade Republic auf eine eigene Wertpapierabwicklung, verliefen nicht ohne Anlaufschwierigkeiten. Wer sie für sich vermeiden möchte, fährt möglicherweise besser damit, in den ersten Wochen für den Handel weiterhin sein Depot bei der Baader Bank oder einen anderen Anbieter zu nutzen.